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Die Altmark - unendliche Weiten & Ruhepol

Die Entdeckung eines unbekannten, weiten, wunderschönes Landes, seiner Natur & Kultur

Mein erstes Jahr: Tag I - Mit dem Drahtesel die Grenzen dreier Bundesländer erfahren

Blu & der Drahtesel
Blu & der Aland
Blu & die Bockwindmühle von Wanzer
Blu & die (Altmark) Elbe
Blu & Schnackenburg

Das Wendland ist inzwischen einigen ein Begriff, aber die Altmark? Ich musste es googlen, gelesen habe ich davon in einem der unzähligen Bücher. Sprichwörtlich in einem, was Orte/Regionen beschreibt, wo der Hund begraben liegt. Vorstellen kann ich mir unter dem kurzen Bericht nichts. Deshalb & wegen der abendlichen-abenteuerlichen Anreise bin ich ziemlich gespannt auf dieses Land, was eigentlich niemand kennt.  Beeindruckt hat mich trotz einsetzender Dunkelheit das Nichts & die Tatsache, dass man trotz Fernlicht Sterne erkennen konnte. Ich freue mich darauf, etwas völlig Neues zu entdecken.

Meine Ferienwohnung befindet sich in Pollitz, in einem alten Gutshaus. Es ist wunderschön & liegt direkt am Aland, wie mir die Karten schon verraten haben. Die Wohnung selbst ist genau meins & ich fühle mich direkt heimisch. 

Auch wenn der Tag grau in grau beginnt (& bleibt), nehme ich mir den zur Verfügung stehenden Drahtesel, um das Umland zu erkunden. Nach all meinen Mountainbike-Jahren ist so ein Hollandrad mit drei Gängen & Rücktritt schon arg gewöhnungsbedürftig. Vor allem mit Kamera & Rucksack. Von außen betrachtet sieht es sicher wie mein erstes Mal Radfahren aus. Der Drahtesel & ich müssen also erst noch warm werden. Direkt hinter dem Haus beginnt die Aland-Elbe-Niederung. Nichts, soweit das Auge reicht. Da ich auf einem Deich stehe, kann ich das ganz gut beurteilen. Der Radweg schlängelt sich mit dem Deich durch die Landschaft, am Aland, an weiten Wiesen & kleinen Wäldchen entlang. Mir entgeht nicht die absolute Stille, lediglich durch Vogelrufe unterbrochen. Ein Mäusebussard sitzt im Baum & sucht das Weite, als ich ihm zu bunt werde. Ich folge dem Weg bis nach Wanzer, dem nächsten Örtchen Richtung niedersächsische Grenze, Grenzdorf. Ebenfalls ruhig & ein bisschen wie aus einer anderen Zeit. Die Kirche gefällt mir. Ich bin aber eher auf tierische Besonderheiten aus, weshalb ich kein Foto vom Ort mache. Auf einer großen Brücke überquere ich den Aland & sehe den ersten Silberreiher. Mir gefallen die dunkel-grünen Farben & sein weißes Gefieder im Kontrast dazu. Ruhig liegt der Aland da. In seinem weiterem Verlauf sehe ich immer wieder die Silberreiher, sie sind nur so unheimlich scheu. Zudem macht der Drahtesel ein (lautloses) Anhalten schwer, das muss ich definitiv noch üben. Neben den Reiher sind auch die winter-gastierenden Enten & Gänse zu sehen. Immer noch das weite Land um mich herum. Und dann fliegt über mir mein erster Kranich. Und Gänse, viele Gänse.

Ich folge einem Weg Richtung Elbe, über Kolonnenwege, Panzerplatten, mit dem Rad mächtig huppelig & nicht unbedingt das angenehme Fahren. Der Feldweg mit echt großen Löchern in den Panzerplatten wenig später wird zum Balanceakt. Schafft man es nicht & fährt durch die Löcher, kann man froh über etwas Federung sein. Bei meinem Drahtesel eher weniger. Der Weg endet zwischen Wiesen & Weiden, direkt an der Elbe. Ich bin sofort fasziniert von diesem Fluss. Er liegt so ruhig, so friedlich dar. Noch nicht mal die Strömung ist zu erkennen. im Wasser spiegelt sich der Himmel, es ist so wahnsinnig beruhigend, ich mache erst einmal eine Pause. Rechts von mir, ein paar Rinder, die wenig später sogar in der Elbe stehen. Hier geht das wohl noch.

Plötzlich sind die Vögel in Aufruhr & dann erscheint er. Er sieht so mächtig aus, ich bin hin & weg. Ein Seeadler. Der schimpfende Eisvogel ein paar Minuten später wirkt dagegen winzig.

An diesem Tag hat keins der Bilder eine wirklich gute Qualität, aber hinterher ist mir das ziemlich egal - weil ich trotzdem den Moment einfangen konnte, sei es der Seeadler oder vorbeiziehende Gänse. Super scharf ist keins, aber jetzt im Nachhinein kann ich gut damit leben - schließlich habe ich die Vögel bzw. Tiere ja mit eigenen Augen gesehen. Rein zufällig.

Enten & Gänse sind in ständiger Bewegung, während ich die Ruhe genieße & mich von diesem Ort kaum trennen kann.

Ich schwinge mich wieder aufs Rad & fahre den holprigen Weg zurück. Auf einer Aland-Brücke fühlen sich Lachmöwen heimisch. Mir gefällt, wie sie da so aufgereiht auf dem Geländer sitzen. Es bleibt nur nicht aus, dass ich sie in Aufruhr versetze. In einem kleinen Bogen geht es nach Schnackenburg. Ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich ein Mäusebussard ist, er sieht anders aus, leider sind die Fotos nicht ganz so aufschlussreich. Vielleicht weiß es jemand besser als ich? Über ein Feedback freue ich mich. Nach wie vor bin ich von den Silberreihern fasziniert. Genauso wie von den herbstlichen Farben, die die Landschaft malt. Trotz des Graus mag ich diese Stimmung, die sie erzeugen. Es ist einfach nur so friedlich. Auf einem Feld sind zwei Kraniche unterwegs, wie groß sie sind. Und stolz. Und wunderschön. Die Enten, es müssten Pfeifenten sein, sind sehr scheu & achten sorgsam auf den richtigen Abstand zu mir.

Noch ein paar Pfeifenten & ein Silberreiher später erreiche ich schließlich Schnackenburg. Es ist die kleinste Gemeinde mit Stadtrechten in Niedersachsen & eine der kleinsten Städte in Deutschland. Hier gibt es einen Hafen, ein Grenzmuseum, geschlossene Cafés/Gastwirtschaften, sehr hübsche Häuser & eine Fähre, die auf die andere Seite der Elbe übersetzt. Ich würde behaupten, die Lage dieser Stadt ist besonders. Zum einen grenzt sie an Sachsen-Anhalt & am anderen Ufer der Elbe befindet man sich schon in Brandenburg. Drei-Länder-Eck. Das hat schon was & die Stadt ihren eigenen Charme. Viele Menschen sind nicht unterwegs. Trotz Sonntag. Am Hafen steht ein Aussichtsturm, der einen tollen Aussicht auf Stadt, Land & Fluss bietet. Ich komme nicht umhin, diese Weite hat mich in ihren Bann gezogen. Ich entscheide mich für die Fähre & bis zur nächsten Brücke zurück zu radeln. Für den Fährmeister scheine ich heute mit meinem Drahtesel eine Ausnahme zu sein. Er fragt mich, wohin ich denn noch wollen würde bei dem Wetter. Und ich nur ganz leichtfertig, bis zur nächsten Brücke. Na dann, gute Fahrt, sagte er. Später weiß ich, dass die Frage nicht ganz unberechtigt war. 20km mit dem Drahtesel können weit werden.

Heute morgen in Sachsen-Anhalt, eben in Niedersachsen & jetzt in Brandenburg. Heutzutage bedeuten Landesgrenzen nichts mehr. Ich empfinde es nach wie vor faszinierend, Grenzen (egal welche) einfach zu überqueren. Also radel ich jetzt halt weiter durch Brandenburg. Ein Turmfalke, ein Eichelhäher, ein Mäusebussard, die Elbe, Rinder am Sandstrand. Es gibt so wahnsinnig viel zu sehen, wenn man denn hinsieht.

Landschaftsfotografie mit dem 70-300mm Objektiv, ob das geht. Ja, doch. Irgendwie. Der Drahtesel macht das gut. Langsam wird es kalt, mehr als es sowieso bereits ist. Schon weit vor der Dämmerung wird es schummrig. Die Qualität der Bilder lässt etwas nach, ich gebe es zu. Andererseits passt genau das zu diesem Tag - eben weil nicht immer alles perfekt ist, aber auch ein grauer Tag hübsch sein kann. Auf seine Art. In der Nähe von Wittenberge sind auch ein paar Menschen unterwegs. Die noch einen Abendspaziergang machen. Oder Angler sind. Die Gänse sind hier weit in der Überzahl. Es sind so viele, die die Wiesen an der Elbe unsicher machen. Bless- & Graugänse. Sie haben inzwischen über Jahre hinweg gelernt, wie viel Abstand ausreichend ist & sind wenig beeindruckt von den Menschen um sie herum.

Die Brücke kommt in Sicht, wie geht's hier jetzt rüber? Ich sehe keinen Radweg, was mich stark wundert. Die nächste Brücke ist nur eine Eisenbahnbrücke, also muss ich wohl über die Brücke. Oder? Ich mache es einfach. So viel Wahl bleibt mir auch nicht, es wird bereits dunkel. Zum Leidwesen vieler PKW & eines LKW. Ich glaube, so schnell ist mein Drahtesel noch nie gefahren. Und ich mache drei Kreuze, als ich drüben bin. Der Dynamo ist eine klapprige Sache, aber Hauptsache Licht. 

Zurück nach Pollitz geht es über kleine Sträßchen & Kolonnenwege. Ich sehe viel Rehe auf den Feldern - wo waren die denn den ganzen Tag? Ich fahre zügig, mir reicht es jetzt langsam. Alles andere muss warten. Leider. Die kleine Holzbrücke über den Aland, um nach Pollitz zu gelangen, macht keinen vertrauenswürdigen Eindruck. Hät mich aber aus.

Was für ein Tag. Mir tut der Hintern weh. Aber selten habe ich so einen Frieden verspürt. Mein erster Seeadler. So schön.

Mein erstes Jahr: Tag II - Zwischen Himmel & Land

Mein erstes Jahr: Tag II - Zwischen dem endlosen Himmel & dem weitem Land

Es bleibt grau & dunstig, daher entspanntes Aufstehen, immer die gleichen Song-Zeilen im Kopf, von Bosse, "Zeit, hab fast vergessen, was das heißt. Zeit, bei dem ganzen Overkill..." .

Der Drahtesel, Blu & ich verlassen früh das Haus, übers Land, immer der Straße nach Richtung Seehausen. Es ist Herbst, man sieht es den Bäumen an, den weiten Feldern, dem Nichts. Ich passiere Groß Garz. Große Grundstücke mit Wachhunden oder große Grundstücke für Hunde, die Zuhause bleiben müssen? Auf der Landstraße fahre ich weiter. Ob die Straßenrandreinigung der Arbeitsbeschaffungsmaßnahme dient? Immerhin ist das gefühlt eine der einsamsten Straßen der Gegend, kaum ein Auto kommt vorbei. Meine kleine Landstraße quert jetzt die Bundesstraße, an der es keinen Radweg gibt, also muss ich wohl den kleinen Umweg übers Land fahren, um nach Seehausen zu gelangen. Die Orte ähneln sich hier stark, jede Ortsdurchfahrt besitzt wachrüttelndes Kopfsteinpflaster, mal gemachte, mal heruntergekommene Häuser. Wenn sie gemacht sind, sind sie wunderschön, mit ihrem besonderen Fachwerk, den liebevollen Details In Fenstern & Vorgärten, manchmal sogar ganze Fensterfronten. Im Nachhinein ärgere ich mich ein wenig, dass ich diese Schönheit zu wenig aufgenommen oder eingefangen habe.

Ich fange an, mich hier heimisch zu fühlen. Das Hollandrad entschleunigt, ich bin tiefenentspannt. Mal eine ganz eigene Erfahrung. Ich liebe den Drahtesel. Gerade ist es für mich völlig normal, mit dem Rad fast alleine auf der Landstraße zu fahren - als hätte ich nie etwas anderes getan. In weiten Teilen NRWs ist das undenkbar. 

Auf weiten Feldern alte verfallene Häuser/Scheunen & Rehe. So viele. Die Bussarde sind schneller weg, als ich mit dem Drahtesel anhalten kann. Bilde ich es mir ein oder gibt es hier mehr Greifvögel als Menschen?

Nachdem ich die Ortschaften Losse & Drüsedau durchquert habe, biege ich in den Stadtforst von Seehausen ab, so ein schöner Wald. Er erinnert mich an die Wälder an der Ostsee, die ich in meiner Kindheit oft gesehen & gefühlt habe. Mitten im Wald fahre ich am Forsthaus Barsberge vorbei. Das Forsthaus wurde Ende des 19. Jahrhunderts gebaut & beherbergt schon seit 1899 ein Ausflugslokal. Momentan wirkt es jedoch etwas verlassen. Erst später wurde es neu verpachtet & ist nach jetzigen Stand in Betrieb. Die Farbenpracht ist auch Anfang November immer noch beeindruckend.

Nach dem Wald kommt Seehausen, erst das Neubaugebiet, die Bundesstraße & dann kleine Plattenbauten in hübsch. Es wirkt wie eine kleine Arbeiterstadt, umso surrealer wirken die Milane, die über der Stadt kreisen. Einen Bahnhof gibt's hier auch, der Zug fährt in eine mir unbekannte Stadt. Aber die Stadt hat eine Tourist-Info, die sogar geöffnet hat. Außerdem einen Lottoladen, der allerhand andere Sachen verkauft & die Post beinhaltet - ein Highlight, um Einheimische kennenzulernen. Man erkennt sofort, dass ich nicht aus der Gegend bin. Die Stadt ist alt, war sogar über hundert Jahre eine Hansestadt. Von ihrer Mittelalterzeit sind noch Teile der Stadtmauer & das Beustertor erhalten. Alles wird überschattet von der ausgesprochen mächtigen St. Petri Kirche mit ihren markanten Türmen. Mir gefällt das alte Fachwerk rund um die Kirche & später das Beustertor. Direkt daneben steht die Salzkirche, früher Heilig-Geist-Kirche eines Hospitals, dann als Speicher oder Elektrizitätswerk genutzt. Generell empfinde ich die Kirchen hier, egal ob auf Stadt oder Land, als sehenswert - leider fehlen die passenden Bilder, da ich zu diesem Zeitpunkt die Prioritäten noch anders gesetzt habe. Ich werde das nachholen, diese Schönheit sollte man der Altmark nicht nehmen.

Leider hat meine Tour mit Drahtesel ein schnelleres Ende als mir lieb ist, denn kaum habe ich Seehausen verlassen, habe ich einen Platten. Und zwar so richtig. Also da stehe ich nun, einige Kilometer von der Wohnung & XX entfernt, was mache ich jetzt? Ich bin heilfroh, dass ich Frau D. erreiche & sie mir noch helfen kann, obwohl sie bald los muss zur Arbeit. Frau D., darüber bin ich heute noch so froh, dass ich keine 14km zurücklaufen musste - danke!! Sie verfrachtet den Drahtesel zu Nachbars, der Mann kann ihn sicher schnell reparieren & dann muss sie auch zur Arbeit. Es ist Mittag, was fange ich jetzt mit diesem halben Tag noch an? Kurze Pause, dann ein Nachmittagsspaziergang hinterm Haus.

Vor dem Aland-Deich bemerke ich im Straßengraben einen Waschbären & bin mittelschwer überrascht, am hellichten Tag hielt ich so eine Begegnung nicht für möglich. Vorsichtig pirsche ich mich an, er rührt sich nicht, als bemerke er mich nicht. Irgendetwas stimmt nicht mit ihm. Mit dem Kopf liegt er in der Erde, ist er womöglich tot? Dann rührt er sich aber doch, langsam, reichlich apathisch. Er hat keine offensichtlichen Wunden, aber kippt mit einem mal um & verkrampft komplett. Ein bisschen Sorge habe ich schon, schließlich stehe ich nicht besonders weit weg. Aber ier schert sich immer noch nicht über meine Anwesenheit, er bekommt sich wieder ein & steht da. Wirkt wahnsinnig traurig & ich lasse ihn lieber allein. Entweder zum Erholen. Oder eben doch zum Sterben.

Nach der etwas seltsamen Begegnung genieße ich die Aland-Ruhe, der Wind hat inzwischen für etwas besseres Wetter gesorgt & der Himmel ist nicht mehr grau, sondern eher grau-blau-fluffig. Vorm Aland hat eine Pferdeherde ihre Koppel & wohl gerade einen guten Moment, denn sie sind ausgesprochen aktiv & es macht Spaß, ihnen dabei zuzusehen. Es sieht fast wie natürlich aus - wäre der Elektro-Zaun nicht. An denjenigen, dem die Pferde gehören - schöne Tiere! Anmerkung: Es folgen ausschließlich Pferde-Bilder.

Das Licht zaubert eine wunderschöne Stimmung, der Aland liegt so ruhig da, dieses weite Land, der grenzenlose Himmel, unendlich friedlich. Es ist so eins dieser Zuhause, ich kann einfach stehen bleiben & ewig gucken, wo es eigentlich nicht viel zu sehen gibt - aber nur auf den ersten Blick. Alles ist hier langsamer, auch ich, kann im Tempo einer Weinbergschnecke gehen (würde Bosse jetzt singen). SO viele Kraniche, unglaublich. Sie lassen sich Zeit mit ihrer Abreise, denn es hetzt sie ja keiner. Ich sehe ein Nutria, auch das hat Zeit & lässt sich von mir wenig stören. Das Land bereitet sich auf den Winter vor, auf eine Zeit der Stille & des Friedens. Ein Eisvogel rast an mir vorbei. Falls jemand den Greifvogel bestimmen kann, gerne Bescheid sagen. Die Kraniche suchen ihren Platz für die Nachtruhe. Ein kleiner Sonnenuntergang, nichts großes. Nichts spektakuläres. Das würde hier auch gerade nicht hinpassen.

Es war ein schöner Tag. Vielleicht weil hier einfach überall die Zeit stehen geblieben ist. Und ich gerade mit ihr.

Mein erstes Jahr: Tag III - Wieder vereint durchs Grenzland

Mein erstes Jahr: Tag III - Wieder alle vereint durchs Grenzland

Blu & der Arendsee
Blu & die Grenze
Blu & Deutsch

Heute Morgen ist es zur Abwechslung mal nicht grau, aber für einen Sonnenaufgang reicht meine Motivation noch nicht. Dafür starte ich die Tour heute etwas früher, vereint mit Blu & dem Drahtesel. Noch ist's frisch & der letzte Nebel liegt in der Luft. Drahtesel wurde gestern noch vom Nachbarn flott gemacht, allerdings habe ich das Gefühl, dass er sich irgendwie seltsam fahren lässt. Das macht mich sehr skeptisch & ich muss sehr oft darüber nachdenken, einmal sogar anhalten & die Luft überprüfen. Doch es ist alles in Ordnung mit ihm & seiner Luft. Die Herbstsonne kann ich dennoch genießen. Sie lässt die Bäume am Wegesrand leuchten, so wunderschön herbstlich & das an einem schon etwas fortgeschrittenen Novembertag.

Auf einem abgeernteten Maisfeld stehen Kraniche, ich kann es kaum glauben. Es sind zwei Familien, den Jungvögeln fehlt noch das prächtige Gefieder. Ich bin stark angetan davon bzw. von ihrer Anmut & Schönheit. Mir gelingen ein paar Fotos & ich fahre weiter, bevor ich sie noch störe & sie unnötig davonfliegen müssen.

Durch's Land, Harpe. Das besteht nur aus einer Straße & die ist so wahnsinnig breit, es ist schon beeindruckend. Ich biege ab ins Moor bzw. den Kiefernwald - so schön! - Richtung Ziemendorf. Es geht fast gerade durch den Wald, sandig & holprig.

Auch Ziemendorf ist nicht sonderlich groß, ich strande am Buswendeplatz & erreiche schneller den Ortsausgang als ich gucken kann. Da steht ein Plattenbau, von dem ich erst denke, dass er aufgegeben wurde, aber nein, das ist eine Pferdepension. Später beim Googlen stelle ich fest, dass meine Erinnerungen daran schlimmer sind, als es in Realität aussieht - an die, die das aufrechterhalten, toll, was ihr da aus dem alten Grenz-Bau gemacht habt.

Bis nach Arendsee ist's nicht mehr weit & da ist auch schon des Ortes Namensgeber, der Arendsee - ein rundlich-ovaler, buchtenloser See, der größte im Bundesland & einer der tiefsten Seen Norddeutschlands (50m sind schon eine Hausnummer). Mich erinnert er an Schweden, selbst der Geruch war ähnlich. Ich passiere das Strandbad & den Campingplatz. Trotz strahlend blauen Himmel ist das Licht sehr angenehm. Ich erreiche die kleine Hauptstraße des gleichnamigen Ortes. Es ist eine hübsche, kleine Stadt mit verführerischen Tee- & Dekoladen - natürlich muss ich hier was kaufen. Leider finde ich den Namen des Lädchens nicht mehr - ich hoffe, es gibt ihn noch! Vom Ort habe ich natürlich wenig bis gar keine Bilder gemacht.

Ich fahre weiter am See entlang, es ist schön & so wahnsinnig friedlich. Ein paar Gänse, Gänsesäger & Haubentaucher. Die Einheimischen grüßen selten, vielleicht erscheine ich ihnen zu seltsam.

Ich lasse den See hinter mir & folge dem Grünen Band Richtung Niedersachsen, sehe viele Rehe, zwar in einiger Entfernung, aber mitten am Tag. Passiere die ehemalige Grenze - wie viele braune Gedenkschilder zum Mauerfall gibt es wohl? (Anmerkung: Offiziell heißen die braunen Schilder an Straßenrändern Unterrichtungstafeln, es wird ein Wert von 3000 Stück Deutschlandweit angegeben, ob die zum Mauerfall auch  dazu zählen, sei mal dahingestellt.) Ich muss die Erfahrung machen, dass mich nicht jeder Weg, der vielversprechend aussieht, dahin bringt, wo ich denn gerne hin möchte. Gleichzeitig lerne ich aber auch die unendliche Friedlichkeit dieses Landes kennen, denn wo kann man schon tiefenentspannt Landstraßen entlangradeln?

Völlig unvermittelt sehe ich auf einem Feld eine Gruppe Damwild, einen Hirsch & Kahlwild (wenn ich mich nicht täusche). Es ist erst das zweite Mal, dass ich sie in freier Wildbahn so unvermittelt zu Gesicht bekomme. Grünspechte gibt's hier auch einige.

Ein Straßenschild, Wirl, 5km - na, dann muss die Straße ja irgendwohin führen. Denke ich, so völlig logisch. Der Weg führt mich durch einen wunderschönen Heide-Wald, mit Kiefern, Eichen & wieder Damwild (was leider schneller als die Kamera & ich war). Und endet in einem sandigen Waldweg zur Grenze - ein Sackgassenschild wäre definitiv zu viel gewesen, in diesem sonst so schilderreichen Staat. Umkehren ist keine Option, also quälen sich der Drahtesel & ich durch den Sand zum Grenzstreifen. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass genau hier, wo ich jetzt stehe, eine Todeszone war & man nicht wie ich munter von West nach Ost & umgekehrt gehen konnte. Das ist ein unheimlich seltsames Gefühl.

Der Drahtesel hält sich tapfer, obwohl wir heute durchaus schwierige Wegabschnitte zurückgelegt haben & ich ständig das Gefühl habe, mit einem Platten zu fahren. Es geht auf Abend zu, ich muss den richtigen Weg nach Hause finden. Über die Örtchen Gollensdorf & Zehrental komme ich an Deutsch vorbei - ein "Blu in Deutsch"-Bild muss auf jeden Fall sein. Hier hält man sich auch Damwild im Garten & ich nehme mal glatt den falschen Weg, schon wieder sandiger Feldweg, das ist nichts für Drahtesel. Endlich finde ich den Weg nach Pollitz & mit ihm auch die ein oder andere Sichtung am Wegesrand, vor allem natürlich Rehe. Davon gibt's hier scheinbar jede Menge. Über mir ziehen Kraniche zu ihrem Schlafplätzen.

Pünktlich zur Sonnenuntergangszeit bin ich an meiner Holzbrücke. Leider fehlt der Sonnenuntergang, eine kleine Wolkenwand verhindert den Abschluss eines wunderschönen Tages in diesem reichlich faszinierenden & beruhigenden Land, in dem man heute einfach so (unsichtbare) Grenzen passieren, eine unendliche Artenvielfalt erleben & lernen kann, dass Bosse Recht hat.

Weiter, geiler brauch' ich nicht mehr.

Auch wenn der Tag lang & erlebnisreich gewesen ist, so möchte ich die sternenklare Nacht nicht verstreichen lassen, ohne sie für ein paar Sternenfoto-Versuche genutzt zu haben. Der Vorteil am November, es wird früh dunkel, man muss also nicht allzu lange warten, bis es so richtig dunkel ist. Und mein Gott, das ist's hier wirklich. Ich würde mal vermuten, es ist eine der dunkelsten Regionen des Landes. Ich habe schon öfters Sterne fotografiert & auch schon die Milchstraße, allerdings sind das hier die ersten Bearbeitungen & ich habe nichts gegen ein Feedback, ob es zu unnatürlich oder ähnliches wirkt. Ich selbst war jedenfalls überrascht von dem, was man aus den Bildern herausholen konnte (wenn man das Bildrauschen übersieht).

Woran ich mich noch erinnere: Ich war froh, wieder daheim zu sein. Da draußen sieht man nicht nur nichts, man hört auch jedes kleinste Rascheln.

Mein erstes Jahr: Tag IV - Zwischen Nebel & Sonne die Ruhe erfahren

Mein erstes Jahr: Tag IV - Nebelwelten, unendliche Ruhe & der sonnige Abschied

Pünktlich um halb sieben geht der Schaf-Hahn-Wecker. Draußen ist's neblig - genau so wollte ich das auch haben. Los geht's.

Der Nebel ist so dick, ich sehe fast gar nichts - was eine Suppe. Die inzwischen schon gewohnte Landschaft hinterm Haus sieht plötzlich mystisch & anders aus. Die Pferde & Kühe verschwinden fast. Mal lichtet sich der Nebel ein wenig, dann wird es eher mehr statt weniger. Es ist eine tolle Atmosphäre, ich bin völlig allein hier draußen. Man hört die Kraniche. Hier sind sie das, was die Brockenbahn im Harz ist - man hört sie immer, sieht sie aber selten. Wie können sie überhaupt bei solchem Nebel fliegen?

Man könnte meinen, im Nebel sieht doch alles gleich aus - für mich so ganz und gar nicht.

Ich gehe ein Stück den Kolonnenweg entlang, bis zum Ausläufer des Alands. Hier spiegeln sich die Bäume immer so schön.

Es wird kalt & nass. Meine Lieblingsbrücke muss wieder dran glauben. Es kommt sogar etwas Sonne durch, was die Szene etwas magisch anmuten lässt. Übrigens, gut, dass der Grenzschutz vor über 25 Jahren die Brücke wiederaufgebaut hat - sie gibt wirklich ein sehr schickes Motiv zu jeder Tages- und Nachtzeit ab.

Einen Nachteil hat dieser herrliche Nebel - irgendwann geht er durch fast jedes Kleidungsstück hindurch & man ist froh, wenn man sich im Warmen wieder aufwärmen kann. Was ich dann auch erstmal tun muss.

Nach der Pause ziehe ich wieder los. Es ist immer noch neblig, Bussard im Nebel. In Wanzer sitzt der alte Mann wie gestern vor seiner Tür & grüßt mich freudig, ich grüße zurück. Ich fahre weiter durch Aulosen, der Name sagt soviel wie Wasserwalddorf.

Jeder Ort hier hat einen Briefkasten & eine Kirche. Viele haben Hunde, die sie wohl selten ausführen, dafür bewachen sie alle brav das Grundstück. Ein Rotmilan zieht über mir seine Kreise, ein Turmfalke gibt sich auch die Ehre & ich biege ab nach Stresow.

Auf einem Feld stehen wieder Kraniche, dieses Mal schon mehr. Sie sind so hübsch, ich bin verliebt. Von den Vögeln geht etwas aus, was ich nicht in Worte fassen kann. Kein Wunder, dass es ganze Bücher über sie gibt. Am Ende scheuchen sie die unzähligen Gänse auf, immerhin nicht ich.

Mäusebussarde gibt es hier übrigens ohne Ende. War das gerade ein Seeadler? Was ein riesiger Vogel, er wird es wohl gewesen sein.

Unbewusst nehme ich ungefähr dasselbe Bild auf, welches es bei Wikipedia zum Beitrag Aulosen zu sehen gibt, den Schaugraben mit dem markanten Baum. Die Sonne setzt diese weite Landschaft aber auch hervorragend in Szene.

Wenig später erreiche ich die Gedenkstätte Stresow - ein Dorf stand einst hier, zwangsentsiedelt & komplett abgebaut, da es in der Schutzzone lag. Alles einfach weg, Häuser, Land, Erinnerungen, Geschichte. Schon ein seltsames Gefühl.

Drumherum liegen drei Seen, es ist ein schönes Gebiet. Silberreiher, Kormorane & Gänse tummeln sich im oder am Wasser - was hier wohl zu Zugzeiten los sein muss?

Ich fahre weiter Richtung Schnakenburg. Mir begegnet eine Raupe, die mir in dieser Jahreszeit besonders pelzig erscheint. Ob das wieder ein Mäusebussard ist, kann ich schlecht deuten. Falls jemand weiß, um was für einen Vogel es sich stattdessen handeln könnte - scheut euch nicht, mir das mitzuteilen. Leider sind die Bilder nicht besser geworden. Kraniche & Silberreiher schließen sich an, sowie en paar Rehe & jede Menge Gänse, Gänse, Gänse. Das Wetter heute ist herrlich, der Gegensatz zu heute Morgen ist krass, das Licht so wunderschön. Deshalb wechsle ich von Tele- auf das Weitwinkelobjektiv & mache das gewünschte Panorama. Beim Zurückwechseln passiert das unvermeidliche, das, was ja irgendwann mal passieren musste: Das Objektiv klatscht auf den Boden. Dummerweise mit dem Bajonett auf die Panzerplatte anstatt auf das nur wenige Zentimeter entfernte Gras des Deiches. Bajonett verbogen, Zurückbiegen unmöglich, ich schneide mir dabei auch noch in den Finger. Glücklich bin ich darüber nicht, denn ohne das Teleobjektiv möchte ich meinen Urlaub ungerne weiterführen. Aber ich finde schneller eine Lösung als mir lieb ist - leider eine nicht ganz so charmante. Gut, dass es Kreditkarten & 14 Tage Rückgaberecht gibt. Sorry Media Markt.

Nach dem ersten Schock kann ich auch wieder lachen. Es ist okay, ich habe hier so viel gesehen, mal etwas ruhiger machen & die Schönheit des Landes genießen. Und auch festhalten. Im Tempo einer Weinbergschnecke gehen, wie Bosse singt. Schnakenburg wirkt heute ganz anders als an meinem ersten Tag. Der Blick vom Turm ist zwar gleich, aber heute anders. Es ist schön hier draußen. Die Elbe wirkt fast malerisch. Alles so ruhig & friedlich. Das bilde ich mir auch nicht ein, eine mehr oder wenige Einheimische bestätigt meinen Eindruck. Sie spricht mich an der Elbe an & erzählt mir, dass sie inzwischen hier lebt, nachdem sie viele Jahre in größeren Städten gewohnt hat. Sie verbringt hier quasi ihren Ruhestand. Ich weiß nicht mehr, ob es ihre oder die Eltern ihres Mannes waren, die aus der Gegend kamen. Sie erzählt mir auch von den Bibern & dem bösen Ort mit seinem Sandstrand. Auf mich machte sie den Eindruck, als verkörpere sie die Ruhe & die damit verbundene Schönheit der Gegend. Viele Grüße an diese Dame & danke für das liebe Gespräch. Ich weiß bei weitem nicht mehr die genauen Wortlaute, aber ich werde mich wahrscheinlich immer an diese friedliche, schöne Gesprächsatmosphäre & das gute Gefühl erinnern.

Mit dem letzten Licht des Tages trete ich die Heimfahrt an & muss doch öfters mal anhalten. Alles wirkt so leicht golden, wunderschön. Ich weiß, ich wiederhole mich, aber vielleicht reichen Worte nicht dafür aus. Selbst die letzten noch verbliebenen Rinder sehen einfach hübscher aus. Vielleicht bin ich froh, dass ich dank des Objektivunfalls nun die Möglichkeit habe, ein paar Landschaftsaufnahmen zu machen, ohne etwas zu verpassen. So entgeht mir wenigstens nicht der beginnende Sonnenuntergang - ein Bild, was man sich nicht entgehen lassen sollte.

Eine große Schar Kraniche zieht in Richtung ihrer Schlafplätze, selbst ihnen aus der Entfernung beim Abflug zuzusehen (& hören) ist faszinierend. Auch wenn der Sonnenuntergang nicht spektakulär ist, so ist er wunderschön - dank der vielen möglichen Spiegelungen sowie dem wunderschön-warmen Licht. Natürlich muss auch die Brücke wieder ran & am Ende zieht Nebel auf, der die Kühe & Pferde anfängt, wieder zu umhüllen. Es ist ein hervorragend passender Abschluss dieses Urlaubsabschnitts. 

Ich habe hier nur vier Tage verbracht, aber in keiner anderen Gegend habe ich mich so schnell so sehr entschleunigt gefühlt. Ich weiß nicht, ob es am fehlenden Handyempfang, dem alten Drahtesel, der unendlichen Weite des Landes oder seiner beruhigenden Einsamkeit gelegen hat. Selten habe ich mich so schnell so gut aufgehoben gefühlt wie hier. Es tut mir weh, weiterfahren und dieses Land verlassen zu müssen. Das ist das erste Mal seit Langem.

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