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Der Habichtswald(steig) in Nordhessen

Eine Streckenwanderung in vier Etappen im Hochsommer durch unbekanntes Heimatland

Etappe 1 - Von Zierenberg nach Kassel-Wilhelmshöhe

Blu & der Habichtswaldsteig
Blu & das Zierenberger Rathaus
Blu & die Helfensteine
Blu & der Dörnberg
Blu & der Herkules

Ich gebe zu, ich bin aufgeregt. Es ist meine erste Streckenwanderung, 85km an einem Stück zu Fuß. 

Die Anfahrt etwas verspätet, ich schlängele mich schnell durch den beginnenden Berufsverkehr NRWs. Fühle mich einem LKW-Fahrer verbunden, der in einer Baustelle wegen einem Größer-als-2,10m-Helden auf einer maximal-2,10m-Spur eine Vollbremsung hinlegt & danach einfach ganz stur auf zwei Spuren fährt. Meine Begeisterung darüber kann ich ihm leider nicht mitteilen.

Die letzten Kilometer nach Zierenberg fahre ich über Land & ich sehe die heutige Etappe quasi vor mir. Vorfreude macht sich breit. Auch wenn es mir mehr als schwerfällt, XX auf einem Parkplatz in Zierenberg zurückzulassen. Es ist so ungewohnt, dass er nicht mit kann & ich nicht ganz so autark bin wie üblich.

Endlich bin ich startklar & am Marktplatz beginnen die 84,8km - wenn man es ganz genau nimmt. Zierenberg hat ein sehr hübsches Rathaus, aber ich beschließe, mir die Stadt am Tag der Rückkehr anzusehen, denn jetzt muss ich erstmal los. 09 Uhr, warm. Ob das wirklich eine gute Idee ist? Durch eine kleine Gasse geht's hinab Richtung Schreckenberg, über ein Schulgelände (seit wann macht man denn sowas?) & direkt in den Wald. Erster Anstieg Ahoi. Erste Hitzephase auch. Dennoch sind die Blauen Steine, dieses große Basaltgeröllfeld, sehr faszinierend. Wenig später stehe ich am Schreckenbergturm - und welchen Turm erklimme ich schon nicht? Die Treppe ist zwar gut eng, aber die Aussicht atemberaubend. Und der leichte Wind auch ganz nett.

Aufgrund der zunehmenden Außentemperatur werfe ich meine Vorsätze über den Haufen & steige auf eine kurze Hose um. Ich bereue, dass ich das passende Schutzmittel gegen Zecken zuhause gelassen habe (Dinge, die man nur einmal vergisst) & ich gestehe, dass ich mir einige Zeit einige Gedanken über mögliche Konsequenzen mache. Nichtsdestotrotz ist die Wegführung sehr angenehm, abwechslungsreich, Pfade statt breite Wege. Am Dörnberg-Areal angekommen, muss ich mich aufgrund des Wetters (& Getiers) für eins entscheiden - Panoramabilder oder Schmetterlinge & Co. Ich sehe mehr als schnell ein, dass es viel zu warm ist, um sich auf die Lauer zu stellen/zu knien. Vielleicht sollte ich lieber die Gesamtheit dieser Gegend einfangen. Die ist nämlich echt schön.

Der Alpenpfad am Dörnberg ist sehr interessant (ich komme definitiv wieder). Zwei Wanderer holen mich ein - ich bin mir sicher, sie gehen ebenfalls den Habichtswaldsteig. Ich begegne einem älteren Herrn aus der Gegend, der schon auf dem Rückweg ist & der hier viel wandert, dass er von der Schönheit des Ortes überzeugt ist, ist nicht verwunderlich. Ein bisschen beneide ich ihn, dass er bald zuhause sein wird.

Die Wacholderlandschaft ist großartig, selbst in der grellen Mittagssonne macht sie eine gute Figur. Insgesamt sieht der Dörnberg schon etwas seltsam aus - die eine Seite komplett bewaldet, die andere völlig frei. Halbglatze. So frei, dass hier ein Flugplatz zuhause ist. Neben diversen Ziegen, Schafen & Kühen.

Auf die Wichtelkirche wird leider nicht hingewiesen, man kann sie nur erahnen. Die Helfensteine dagegen sind nicht zu übersehen, sie bilden eine Landmarke ihres Gleichen. Gut, dass hier oben auf dem Berg etwas Wind geht. Es ist fast angenehm. Dennoch bin ich froh, dass das Café Helfensteine geöffnet ist & Leitungswasser schmeckte selten so gut.

Die Helfensteine sind nicht besonders groß & eigentlich auch nicht spektakulär, aber sie passen halt nicht in diese sonst so sanfte Hügellandschaft. Mit mehr als 10kg Gepäck (dabei habe ich kaum etwas eingepackt - dachte ich) ist so ein Anstieg echt nicht so leicht. Alles hier ist reichlich fotogen, weshalb mehr Fotos entstehen, als wahrscheinlich nötig gewesen wären. Noch ein Anstieg & dann ist der höchste Punkt der Reise erreicht, der Dörnberg. Leider gibt's hier kein Schild oder ein kleines Gipfelkreuz. Ich stehe lange da & sehe mir das Umland an, die zwei Mit-Wanderer überholen mich wieder. Auch sie würdigen dem Ganzen einen Blick, bevor sie sich aufmachen, während ich noch darüber nachdenke, wie schön meine Heimat doch ist & dass das Gute manchmal so nah liegt, man es aber erst viel später erkennt.

Nach den weiten Wiesen mit reichlich Sonne taucht der Weg in den Wald ab. Irgendwie passt er gerade so gar nicht hier hin, ist aber in der Hitze des Gefechts ganz wohltuend. Weiter den Dörnberg hinab, durchquert der Weg ein Tal mit Getreidefeldern & Wiesen. Für mich kommt jetzt der relativ unaufregende Teil der Etappe, Land gewinnen. Die Igelsburg kann ich so jetzt nicht erkennen & unter dem Silbersee hatte ich mir etwas anderes vorgestellt. Es geht bergauf, schon wieder, bald reicht es aber. Einen Steinbruch umrunden, der meint es sehr gut mit seinen Lebensgefahr-Schildern. Der See, der wohl zwangsläufig entstanden ist, sieht unglaublich einladend aus. Hier heißt es auch nur noch Absturzgefahr. Na dann geht's ja noch. Die großen alte Bäume des Hutewalds sind schon beeindruckend. Es heißt, die Hutelandschaft gehört zum Landschaftsbild des Habichtswaldes - den Vergleich mit dem Bergpark Wilhelmshöhe verstehen vielleicht nur Landschaftsarchitekten, ich jedenfalls nicht. 

Und dann ist er endlich da, der Herkules - mein Gott, ich war noch nie so froh, ihn zu sehen.

Ich freue mich immer, den Herkules zu sehen - er ist schließlich DAS nordhessische Wahrzeichen. Aber heute wirklich ganz besonders. Mit neuer Motivation überquere ich die Galloway-Wiese, leider ist keine Tuchfühlung mit den Tieren möglich. Am Ende der Wiese mache ich noch eine Rast, bevor ich die letzten Kilometer in Angriff nehme. Ein Stück durch den Wald & dann steht man plötzlich vor dem Herkules. Junge, du bist mal nicht eingetütet - der Wahnsinn. Dafür ist alles andere eine Baustelle. Und dank Montag ist hier ja eh geschlossen. Was auch erklärt, wieso hier kaum was los ist. Vielleicht lag es auch an der Hitze, das mag ich jetzt nicht vollständig ausschließen. Ich begutachte den Herkules, wie er da so steht, auf dem Dach Nordhessens - nennt man den Habichtswald nicht so? Zu seinen Füßen liegt wie eh & je Kassel & mein Hinterland. Es ist so wunderschön, ich kann es nicht in Worte fassen. Ich würde so gerne noch mehr gucken, am liebsten den ganzen Bergpark abgrasen, aber ich muss erstmal zu meiner Herberge für die Nacht, nach Neu-Holland. Trotz Hausnummer 8 muss ich noch ein ganzes Stück die Straße rauf & dann steht es da & mein Gott zum Zweiten, es ist so schön. Es sieht so sympathisch & einladend aus, das Gästehaus Sonnenhof, Einrichtung des Hauses der barmherzigen Schwestern vom heiligen Vinzenz Paul in Fulda. So ein freundlicher Empfang, so ein schlicht-schickes Zimmer, so eine Wohltat zu duschen. Nur eine noch dickere Decke haben sie wohl nicht finden können.

Zugegebenermaßen bin ich etwas platt von diesem ersten Tag, weshalb ich es vorziehe, mir in Neu-Holland ein Eis als Abendessen zu suchen als noch groß durch die Gegend zu turnen. Bei der Hotel-Auswahl der Straße merke ich, dass das hier schon die etwas exklusivere Gegend ist, obwohl Neu-Holland recht klein ist. Wo wohl meine Mitwanderer gastieren? Ich werde fündig & gönne mir Ahle Wurscht mit Brot, ein Radler und Vanilleeis mit Erdbeeren als I-Tüpfelchen (gefühlt war es das beste Eis meines Lebens). Das Klientel der Gaststätte ist gemischt, ein heiteres Grüppchen, Tennisspielern (what else in Neu-Holland) & die Kochkunst des Lokals austestende ältere Damen. Ich bin vollends zufrieden. Schaue nach dem nächsten angeschlagenen Ziel für den morgigen Tag, es ist Schauenburg & spaziere noch die Straßen Neu-Hollands entlang. Die imposanten Stadtvillen gefallen mir mal mehr, mal weniger. Manche passen vom Baustil nicht ganz hierher, eins erinnert mich an die Holzbauweise des Harzes.

Mit der untergehenden Sonne endet auch mein Tag. Der schönste Moment? Wenn die Hitze zur Normalität wird. Der Dörnberg. Herkules, du alter Sack.

Etappe 2 - Kassel nach Niedenstein

Etappe 2 - Von Kassel-Wilhelmshöhe nach Niedenstein

Blu & Schauenburg
Blu & die Landschaftsthrone Schauenburg
Blu & die Burguine Falkenstein

Für den Sonnenaufgang am Herkules bin ich zu müde, ich dreh mich lieber noch einmal rum. Das Frühstück ist gut & alles ist so wahnsinnig herzlich hier. Schlicht, aber liebevoll. Ich frage mich, ob der Übernachtungspreis nur zur Kostendeckung oder auch zum Gewinn dient. Schön wäre ersteres. Der Rucksack ist schnell gepackt & dann kann es schon fast losgehen. Ich verabschiede mich von den Schwestern - vielleicht komme ich irgendwann wieder & vielleicht seid ihr dann auch noch hier. 09 Uhr, Aufbruch, eigentlich zu spät, aber daran ändere ich jetzt auch nichts mehr. Dafür aber am Insektenschutz, nachdem mich die erste Mücke  prompt sticht. Und dafür mit ihrem Leben bezahlt. Die Wegführung ist schön, gemähte Wiesen, es riecht so gut. Tauche ab ins Firnsbachtal & je tiefer ich gehe, desto begeisterter bin. Erst zeigt sich die Bergbaugeschichte - das war mir nicht bewusst - dann das enge Bachtal mit Felsen - und das gefällt mir wirklich sehr.

Als ich aus dem Wald komme, treffe ich auf eine Grundschulklasse. Ist das nicht ein bisschen zu warm? Hier wäre auch die Pension gewesen, die für die erste Etappe eigentlich vorhergesehen ist. Ich gebe zu, das hätte ich so nicht mehr geschafft. Die Kids zu überholen ist nicht so einfach & eine ganze Weile gehe ich umringt von Kinder-Grüppchen mit diversen Streitigkeiten einher. Am Berghang herrscht Kahlschlag, links immer parallel die A44, meine Bahn. Sie zu unterlaufen ist tatsächlich eins meiner Highlights & mein Gott, ist die Unterführung kühl - kann ich nicht hier bleiben? Aber ich muss weiter, weil weitgekommen bin ich noch nicht & die Sonne steigt stetig gegen mich. Erst der Ausblick auf Schauenburg, dann durchquere ich einen Teil des Ortes. Die helle Neubausiedlung blendet mich regelrecht. Ein großer Schillerfalter, mitten im Dorf - wie intakt die Natur hier noch ist. Und das ist echt schön. Aber Nordhessen ist auch das ausgeblichene Alf-Handtuch im Garten. Zur Ruine Schauenburg geht's den Berg rauf, vorbei an ein paar Rindern, ich unterhalte mich kurz mit ihnen - ist's schon so weit? Muss ich mir Sorgen machen? Nun ja, Selbstgespräche kommen dann doch schon mal vor - ob jetzt mit dem Herkules oder den Rindern, wen interessiert's?

Die Wegführung an der Ruine Schauenburg bringt mich noch um den Verstand - ich weiß immer noch nicht, wo der richtige Weg langgeht, obwohl ich quasi alle möglichen Wege gegangen bin. Dafür ist die Aussicht toll, auf dem Berg & um ihn herum auch. Auf der anderen Seite den Berg runter, der einzige Gasthof an der Wegstrecke hat natürlich ausgerechnet heute Ruhetag. Also gehe ich ins Dorf (Hoof), um etwas zu trinken zu finden. Ein Tante-Emma-Lädchen ist meine Rettung & der einzige offene Laden hier, mittags um halb eins. Mein (lebenslanger) Dank gilt der netten Dame hinter dem Tresen, die mir kostenlos meine Flasche mit Leitungswasser gefüllt hat, obwohl ich auch hätte eine Flasche Wasser kaufen können (das habe ich leider zu spät gesehen). Ich gönne mir ein Magnum Eis, das geht einfach immer. Es ist Mittag & es wird heiß. Mit Shorts wird die Hitze wieder erträglich, bin selbst überrascht, wie schnell ich mich an die Hitze gewöhnt habe. Eigentlich stört sie mich gar nicht mehr.

Der Weg nach Breitenbach (die Gemeinde Schauenburg besteht aus insgesamt 5 Ortsteilen) ist angenehm zu gehen & taucht sogar etwas in den Wald ab. Wo hier eine Einkehrmöglichkeit sein soll, weiß ich nicht. Das finde ich etwas schade, dass ausgerechnet sowas nicht gut ausgeschildert ist. Oder andere Highlights entlang des Weges. Das würde das Ganze etwas abrunden & den Steig noch ein bisschen besser machen - wobei besser machen das falsche Wort ist. Das, was man hier draus gemacht hat, ist schon verdammt gut. 10km habe ich noch vor mir, jetzt muss ich doch mal Strecke machen. Das Streckenwandern ist in der Tat ein neue & definitiv andere Wandererfahrung für mich. Hier ist es nicht ganz so egal, wann man losläuft oder ankommt. Man ist immer auf die eigenen Beine angewiesen, dass sie einen zum Ziel tragen - aber man muss auch sagen, in Deutschland gibt es sehr oft auch einen Plan B, wenn mal nix mehr geht. Im wahrsten Sinne des Wortes. Durch Wald, Wiesen & Felder geht es weiter durch die nordhessische Landschaft. Ein Junge kommt mir entgegen & grüßt. Hier steht schon das ein oder andere etwas abgelegenere Haus - wenn man dann mal zum Bus will oder ähnliches, muss man halt laufen. Typisch Dorf. Ich bin im Laufmodus & nähere mich stetig der Burgruine Falkenstein. Überquere eine Landstraße, ein Bus fährt an mir vorbei. Ich frage mich, was wohl der Busfahrer denkt. Ob er sich wundert, was jemand bei über 30 Grad hier draußen macht? Berechtigte Frage.

Zur Burgruine Falkenstein geht es durch schattigen Wald, eine Wohltat. Vorhanden sind von der Burg nur noch einige Mauerreste, aber die sind äußerst fotogen. Eine Aussicht ist zwar vorhanden, lässt sich aber durch die Bäume eher erahnen als bestaunen. Ich mache eine kurze Snackpause, bevor es auf die letzten Kilometer geht. Von der Altenburg kann ich die Gestalt nur erraten. Eine gar nicht so kleine Burganlage soll es gewesen sein & man hätte einige sehr bedeutende Funde gemacht. Das Chattengau (ich erinnere mich an den Namen) fängt hier an, eine sehr fruchtbare Gegend. Einen Ausblick auf Niedenstein gibt es auch & mein Gott, liegt das tief. Das hatte ich so nicht auf dem Schirm. Hoffentlich nicht so tief, dass ich es bereue. Normalerweise würde man bis Bad Emstal laufen, was ich gerne tun würde, aber meine heutige Unterkunft ist nun mal in Niedenstein. Da habe ich mich entfernungstechnisch wohl etwas verkalkuliert. Nun ja, dann eben am (wohl) heißesten Tag des Jahres die längste Etappe meiner Wanderung. Ich wollte einen Gegner, na, dann bin ich jetzt mein eigener Gegner.

Ja, es geht bergab, aber nicht allzu sehr. 17 Uhr, die Hitze lässt alle Konturen der Landschaft verschwinden. Endlich Niedenstein. Wo ist hier jetzt der Gasthof? Ach, Landhotel & Gasthof. Ich stehe in der Lobby & gefühlt schwitze ich mehr als die letzten 8 Stunden zuvor. Ich will nur noch ins Zimmer & duschen. Holla, meine Mitwanderer sind auch hier - wo & wann sind die denn gestartet? Habe sie auf dem ganzen Weg nicht gesehen. Sehe es schon kommen, dass wir uns die nächsten zwei Tage noch öfters sehen. Das Landhotel ist mächtig groß für diese Lage & ich bin zwar nicht über-, aber herausgefordert. Natürlich habe ich ein Zimmer im 3. Stock - gar nicht warm hier. Aber was ist heutzutage schon warm? Bediene mich erst einmal am bereitgestellten Wasser. War das jetzt im Preis inbegriffen? Nachdem ich mich akklimatisiert habe, gehe ich in der griechischen (ja klar, habe ich ja nicht morgen auch noch) Gaststätte was essen. Egal, Salat & Tzatziki gehen immer. Bier sowieso. Aber kein Hütt. Schlechte Erfahrung. Die Gesellschaft hier ist durchwachsen, von jung bis alt alles vertreten. Ein Grüppchen Monteure, Hermes-Auslieferungsfahrer aus fernen Ländern & die Alte-Herren-Runde. Meine Mitwanderer & ich. Als gebürtiger Nordhesse fällt es mir nicht schwer, mit Nordhessen ins Gespräch zu kommen. Und bleibe natürlich hängen. Ich will nicht zu ausführlich darüber schreiben. Es wird viel zu spät & es gibt viel zu viel (Hütt) Bier. Grüße gehen raus an LJ, Andreas, Rüdi, Wolfgang & natürlich Hans-Jürgen mit Bindestrich. Danke für den Nordhessen-Abend. Ich liebe meine Heimat & egal, was & wer kommt.

Etappe 3 - Niedenstein nach Naumburg

Etappe 3 - Von Niedenstein nach Naumburg

Blu & Bad Emstal
Blu & die Himmelsschaukel
Blu & Ippinghäuser Land
Blu & die Ruine Weidelsburg
Blu & Naumburg

Nach der sehr kurzen Nacht wundere nicht nur ich mich darüber, wie fit ich doch bin. Da sieht der ein oder andere Gast am Frühstücksbuffet schlimmer aus wie ich. Heimlicher Triumph. Heute steht mir der heißeste Tag der Woche bevor sowie die längste Etappe. Mit am wenigsten Schlaf & am meisten Bier. Mein Endgegner.

Um halb acht geht's los. Wow, ist das noch nordhessische Luft oder schon Sahara-Hitze? Vorbei am Bauern mit dem Ventilator vorm Stall & den Kälbern in der Garage, die Kernstadt, lasse alles hinter mir & schalte um auf Laufmodus. Bei über 25km halte ich das für die klügere Taktik. Ich passiere die Engelsruh & muss bei den ganzen Bänken an Andreas & das Schnaps Trinken denken. Dann lasse ich die Niedensteiner Geschehnisse aber hinter mir, Bad Emstal rückt in greifbare Nähe. Aber was ist das denn, der Weg geht in die Felder & weg von der Stadt. Alle Pläne, zusätzliches Trinken zu kaufen, scheitern so. Ich gebe zu, da habe ich beim Wegverlauf nicht genau aufgepasst. Die Felder sind so schön, immer wieder Kornblumen, Mohn, Kamille, anderes Getreide, Blühstreifen für Bienen - ein Anfang für gute Landwirtschaft. Keine 10 Uhr & es ist wirklich heiß. Wenn man so läuft, denkt man über vieles nach. Zum Beispiel, dass man früher so reisen musste, es gab ja keine Alternative solche Strecken & noch mehr zurückzulegen. Jetzt ist das ein Vergnügen - nennt man das Rückentwicklung? Kann die Falkenstein erahnen, wo ich gestern auf meinen jetzigen Standpunkt geschaut habe. Und ich glaube sogar das Firnsbachtal. Ach, meine Mitwanderer holen auf, schön. Auf Bad Emstal kann ich leider nur schauen, ein Abstecher ist nicht vorhergesehen, schade. Ob man auch die nötige Zeit dafür hätte, sei mal dahingestellt.

Streckenwanderungen sind anders. Bei Rundwegen nehme ich mir für gewöhnlich sehr viel Zeit, für Details, Flora & Fauna. Das funktioniert auf Strecke nur sehr bedingt, man setzt eher auf Eindrücke & Gefühle. Das Gesamte, möglichst viel aufzunehmen, sich aber nicht im Detail zu verlieren - ganz abgesehen davon, dass das in der sengenden Hitze auch Selbstmord wäre.

Gehe für meine Verhältnisse sehr zügig, der Erzeberg jetzt aber auch nicht herausragend. Vom Steinbruch sehe ich nichts, dafür ist das Licht im Wald unschlagbar (für Fotografen zumindest), auf dem freien Feld allerdings etwas overloaded. Es ist sehr diesig, alle Berge blau & du kannst die Hitze förmlich sehen. Doch die Aussicht aufs Naumburger Land ist wunderschön. Auch wenn ich ahne, dass der letzte Berg die Weidelsburg beheimatet & ich genau da hin muss. Doch bevor das soweit ist, schlängelt sich der Weg 10km durch Felder, Wiesen & Wald. Wunderschön trotz Sommersonneheiß. Sein Pferd mit dem Rad auszuführen, ist mir persönlich neu, aber es klappt. Ein paar Bergziegen, Gott, sind die knuffig.

Meine Mitwanderer holen mich ein, jetzt wechseln wir uns 10km mit der Wegführung ab.

Die Bauern machen reichlich Heu, es ist eigentlich die ländliche Idylle. Die mächtigen Hutebäume sind beeindruckend - wie alt sie wohl sein mögen? Ein Feld mit Schlafmohn, die Blütezeit beginnt jetzt bald. Es ist wirklich warm, aber man gewöhnt sich daran. Die Erfahrung von Hitze ist mindestens genauso beeindruckend wie das Land hier. Es geht ein Stückchen durch den Wald, eine kleine Wohltat. Die kleinen Bäche führen wenig bis gar kein Wasser. Dagegen sieht der See an der Hengstwiese so toll aus, am liebsten würde ich da jetzt reinspringen. Aus dem Feld hoppelt ein Feldhase, er sieht mich. Wagt noch einen Schritt nach vorn, schaut irritiert & dreht sich dann doch um & hoppelt gemächlich davon. Kurios.

Weiter durch die Felder. Naumburg liegt (mal wieder) in greifbarer Ferne, aber der Weg steuert erst einmal die Weidelsburg an. Die liegt echt ziemlich exponiert & hoch. Der Rastplatz mit der Warte & Himmelsschaukel ist echt schön gemacht. Meine Mitwanderer machen am einzigen Schattenplätzchen Pause. Ich spreche kurz mit ihnen bzw. einer redet & der andere schweigt - ihr seid auch  ein seltsames Pärchen. Es geht nicht so viel Wind wie gestern, was die Schattenteile noch angenehmer macht als eh schon. Kurzer Abstecher zum Bildstein - man muss ja mal gucken, wenn er schon einer der wenigen extra ausgeschilderten Highlights ist. Also in Luxemburg (Paradebeispiel für außergewöhnliche Gesteinsformationen Stand Mitte 2019) wird sowas nicht extra ausgeschildert - aber nun gut, die Struktur ist ja ganz interessant. Weiter Richtung Ippinghausen. Laufe etwas verträumt durch die Gegend & bemerke nicht, wo ich versehentlich drauf laufe. Ich erspare jedem die Details, nur so viel sei gesagt, die nächste tote Maus bemerke ich rechtzeitig. Ob sie wohl an der Hitze gestorben sind?

So langsam bekomme ich wirklich Durst, mein Vorrat fast leer. Ich hoffe, dass Ippinghausen etwas bietet. Getränketechnisch.

Zum gefühlt ersten & ernsten Male habe ich richtig Durst. Und natürlich war klar, dass die zwei lokalen Gaststätten zu haben, eine hat heute (wie sollte es anders sein) Ruhetag & die andere öffnet erst ab 17 Uhr. Wo der Bäcker ist, keine Ahnung. Der Lebensmittelmarkt hat seit einer Stunde geschlossen & das Haus des Gastes sowieso. Verzweiflung macht sich breit. Aber der Kindergarten ist meine Rettung - meinen ewigen Dank habt ihr sicher.

Zuversichtlich geht's zur Weidelsburg, es ist so heiß. Der Aufstieg ist kurz, aber ordentlich, in manchen Momenten denke ich, ich kollabiere. Noch dazu nehmen die Bremsen zu, sie stechen zwar nicht, aber ihr Brummen ist nervenzerreißend. Die Burgruine ist wirklich groß, theoretisch gäbe es hier eine kleine Gastwirtschaft - aber bitte, nicht unter der Woche. Ich lege erstmal eine Mauer-Pause ein & sortiere meine Lebensgeister. Mein Handy hat deshalb (wie ich später bemerke) zwei Risse mehr auf dem Display. Diese neumodischen Smartphones sind für Abenteurer wie mich nur bedingt geeignet... Der Wohnturm ist mega cool gemacht, die Treppe der Blitzableiter, es ist so wahnsinnig kühl hier drin. Die Aussicht ist phänomenal - ich sehe den Dörnberg & das Schloss Waldeck, kann ungefähr die Kasseler Berge erkennen. Die 85km liegen mir gerade also quasi zu Füßen & ich kann mit bloßen Auge sehen, wo ich langgegangen bin. Das ergibt eine neue Vorstellung von Entfernung. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, wenn einem klar wird, welche Distanz man zu Fuß zurückgelegt hat. Ein Gefühl von Dankbarkeit für all die schönen Dinge, die ich bislang erleben & sehen durfte, macht sich breit.

Frohen Mutes nehme ich die letzten 9km in Angriff, fast 20km habe ich heute schon zurückgelegt. Aber da geht noch was.

Hinab geht es über kleine steile Wege, bevor breite Holzwege folgen. Ein LKW stapelt Holz, bei der Hitze stelle ich mir doch auch besseres vor, als in der kleinen Kabine den Kran zu bedienen. Naumburg rückt näher, aber bis dahin muss ich noch einen weiteren Bogen gehen. Aus dem Nichts taucht ein Café auf, das glaube ich ja nicht, es ist fast wie eine Fata Morgana. Natürlich mache ich hier kurz Rast, egal, wie ich aussehe & wie wenig gut ich rieche, damit müssen alle anderen jetzt leben. Ich habe noch nie ein Glas Wasser bestellt, jetzt schon, und mein Gott, das ist so gut. Genauso die kalte Milch & der Kuchen. Kaum zu glauben, dass man solch einfachen Dinge mal so sehr schätzen kann.

Langsam merke ich die Kilometer & es wird Zeit, die heutige Etappe zu Ende zu bringen. Also geht's noch einmal bergauf, diesmal läuft die Nase dank des frischen Heus, was ich direkt durchquere. Über mit zieht ein Milan seine Kreise. Realisiere, dass die Naumburg auf einem Berg liegt. Und nicht im Ort. Noch ein Berg. Na gut. Sehe einen Fuchs, freue mich darüber. Abendstimmung zieht auf, auch wenn es nach wie vor mehr als warm ist & die Sonne noch scheint, so wird es doch langsam anders.

Auf dem Naumburger Berg wohnt jemand, das Haus hätte ich auch gerne. Dahinter liegt ein etwas skurril anmutendes, großes, scheinbar leerstehendes Gebäude - vielleicht eine ehemalige Gaststätte? Leider steht nirgends etwas darüber, auch Google gibt nichts her. Jemand gab mir inzwischen den Tipp, dass es sich um die Stadthalle handelt, die man für größere Events mieten kann. Vollkommen richtig. Danke dafür.

Von der Naumburg ist so gut wie nichts mehr übrig, aber die Aussicht, die ist unschlagbar - die Kirche, das Fachwerk & Grün harmonieren perfekt miteinander. Stolpere mehr als dass ich laufe. Gefällt mir hier, ich mag die "Altstadt". Aber ich muss erstmal zum Griechen, einchecken. Ich bin wohl der einzige Gast hier, was mich wenig stört. Es ist alles da, was man benötigt - weil eigentlich brauche ich ja nichts anderes als die Dusche. Und später das Bett.

Ich mache noch einen Abstecher ins Dorf, zum Edeka. Sehe natürlich meine Mitwanderer, der Redselige muss lachen, als er mich sieht. Oder auslachen - sicher bin ich mir nicht. Der Edeka ist so typisch Dorf-modern, wie er nur sein kann. Naumburg ist mir eigentlich ganz sympathisch. Gönne mir noch einen Bananenmilchshake der örtlichen Eisdiele, bevor ich mich zurück zum Griechen schleppe. Da esse ich dasselbe wie gestern, nur schmeckt es wesentlich besser, das muss ich dem nicht sehr redseligen, aber auf seine Art freundlichen Gastgeber definitiv lassen. Im Zimmer ist's heiß, die Bettwäsche in Kombination mit dem Frottee-Laken macht es nicht besser. 30km später bin ich gar nicht so platt wie erwartet. Das mal cool.

Etappe 4 - Naumburg zum Edersee

Etappe 4 - Von Naumburg zum Edersee

Blu & das Naumburger Land
Blu & das Schloss Waldeck
Blu & die Landschaftsthrone am Edersee
Blu & die Staumauer des Edersees
Blu & das Ziel in Hemfurth

Trotz des insgesamt etwas zu klein geratenen Betts habe ich gut geschlafen, aber so langsam merke ich die bereits 64km der letzten drei Tage. Müde ist das falsche Wort - eher eine ungewohnte Belastungserscheinung. Das Frühstück ist super & der bisher wortkarge Gastgeber wird bei der Abreise gesprächiger. Ich frage mich, ob Auswärtige es bei Nordhessen schwer haben. Weil Kölsche Gastfreundschaft ist das ja nicht.

Der Weg schlängelt sich durch Naumburg. Den Dorf-Edeka habe ich gestern nicht gesehen, aber wahrscheinlich hätte er sowieso schon geschlossen gehabt. Noch ein schöner Blick auf die alte Stadt, dann geht's ins Elbetal. Faszinierend, dass wir in Nordhessen auch eine Elbe haben - fast so cool wie in Dresden oder Hamburg. Ich gebe zu, ich hätte sonst nie gewusst, dass es überhaupt eine zweite Elbe gibt. Und das auch noch in Nordhessen. 

Nach der Hummelwerkstatt geht's bergauf, wieder Felder, unheimlich viel Getreide. Und immer Ackerblumen, es ist einfach schön.

Der kleine Aufstieg wird mit einem tollen Blick aufs Naumburger Land belohnt, sogar die Weidelsburg ist zu sehen. Ein Grünspecht fliegt direkt vor mir auf, ich liebe seine Farben. Ein letzter Blick auf das weite, hügelige Land zu meinen Füßen & dann taucht der Weg auch schon in einen so grünen Wald ab, wie er Ende Juni nur grün sein könnte. Er führt leicht bergauf an einem Bachtal entlang. Ich nehme den eigentlich gesperrten Wiesenweg - weil einen Umweg? Nein danke. Ganz abgesehen davon gab es auch keinen Grund für die Sperrung. Ich liebe die vielen Schmetterline entlang des Weges, der Habichtswald hat mich nicht nur diesbezüglich echt überrascht & bereichert. Völlig egal, ob die Kamera das alles einfangen konnte, so kitschig das auch klingt, es bleibt in meinem Herzen.

Im Wald ist es super angenehm, im Gegensatz zu gestern ist es insgesamt sehr angenehm temperiert. Obwohl sich in der Sonne tatsächlich alles gleich anfühlt. Der Unterschied ist nur, dass ich höchstens bergauf schwitze & selbst das nur kurz.

Der Weg führt wieder bergauf & einen historischen Bergkamm entlang, die ehemalige Grenze zwischen dem Fürstentum Waldeck & dem des Landgrafen zu Kassel. Alte Grenzsteine zeugen noch von der Vergangenheit. Hier verlasse ich also den Habichtswald & nähere mich dem Waldecker Land.

Am Waldrand steht ein Haus, in das ich mich sofort verliebe, es ist wunderschön. Die Geflügelmast wenige Meter dahinter eher weniger, aber es gehört nun mal auch zur modernen Landwirtschaft - man kann davon halten, was man will.

Mal wieder geht es einen kleinen Hügel hinauf, die Landschaft gibt das ständige Auf und Ab vor. Ich durchquere ein kleines Wäldchen, was eine Besonderheit aufweisen muss, denn es ist besonders geschützt - leider habe ich mir nicht gemerkt, was es war. Nur das Foto gibt Aufschluss darüber, dass es ein flächenhaftes Naturdenkmal ist. Dahinter bietet sich eine gigantische Aussicht auf das Waldecker Land & sein über allem thronenden Schloss, den Kellerwald & den Edersee. Da muss ich mich glatt erstmal setzen. Kaum zu glauben, am Peterskopf war ich erst vor gut 8 Wochen, es fühlt sich an, als wäre es Monate her. Ich genieße den Blick, das Ziel ist fast zum Greifen nah. Aber bis dahin liegen doch noch ein paar Kilometer vor mir.

Meine Beine haben sich inzwischen an ungemähte, gräserreiche Abschnitte gewöhnt & ich verschwende keine Gedanken mehr an mögliche Zecken. So schnell geht ein Sinneswandel. Einfach nur den Moment genießen. Der Weg bietet wenig Highlights, aber das macht nichts. Spannende & etwas eintönige Abschnitte halten gut das Gleichgewicht, d.h. der Kopf kann auch mal abschalten & die Beine laufen einfach.

Die bergsteigenden Kühe sind cool - unglaublich, wie diese eigentlich etwas unproportionierten Tiere besser Berge rauf- & runtersteigen als Menschen mit Verstand. In der Ferne schwebt irgendetwas durch die Luft, was aussieht wie Drohnen mit Flugschirm. Ich kann es nicht ganz deuten, es ist auf jeden Fall nervtötend laut - bei der sonst herrschenden Stille um mich herum, kein Wunder. Wieder Felder, viel Getreide, Ausblick auf Netze, heute wieder kein Pfannkuchen. Irgendwann.

Und wieder steuert der Weg in ein Tal, wo er eine Straße sowie eine Bahnstrecke kreuzt. Waldeck kommt näher. Noch ein letzter "steiler" Anstieg, dann wieder ein hervorragender Ausblick - bis auf die Monster-Stromtrasse. Ich betrete Waldecker Boden über einen Hof & stehe auf einer der ortsauswärtigen Straßen. Am Hofrand steht eine kleine Bücherbox, sie scheint von privat zu sein. Im weiteren Verlauf begegnen mir jede Menge kitschige Gartenzwerge & hübsche Grundstücke. Endlich im Waldecker Ortskern angekommen, besichtige ich zuerst die Kirche - oder eher gesagt, ich raste & genieße etwas die Kühle, die in eigentlich jeder Kirche herrscht. Zumindest im Sommer. Es ist eine hübsche kleine Kirche, ich mag sie. Zünde eine Kerze an & schreibe etwas auf die Sprüchewand. Ob es schlau oder weise ist, weiß ich nicht, aber vielleicht liest es jemand & denkt darüber nach.

Die Altstadt von Waldeck ist nicht spektakulär, aber es gibt eine lauschige Eisdiele & genau die brauche ich jetzt. Vielleicht klappt das mit dem Abnehmen nicht ganz, aber dafür gönne ich mir zum ersten Mal im Urlaub richtig gutes Essen ohne es zu bereuen. Als ich quasi im Begriff bin zu gehen, kommen meine Mitwanderer um die Ecke - 16km haben sie gebraucht, um mich einzuholen. Auch sie wollen Eis. Der Redselige quatscht mit mir, über gestern, wie sie die Tankstelle von Ippinghausen geplündert haben. Witzig, wie er so mit mir plaudert, während sein Partner mich wahrscheinlich verwünscht. Ich lasse sie in Ruhe & kaufe meine Postkarten. Bekomme wieder ein "...und Sie laufen wirklich alleine?" zu hören & wünsche mir einen Nicht-Stoff-tierischen Begleiter. Ja, ich bin schräg, ich weiß, danke. Kurzer, aber knackiger Marsch zum Schloss, passiere eine Jugendtruppe auf Rädern & die vielen Parkflächen. Viel los ist nicht - bei dem Wetter auch kein Wunder. Mein Gott, wie lange ich wohl nicht mehr hier war? Sicher 12, 13 Jahre - wenn nicht sogar noch länger. An die Kanonen & den Uhrenturm kann ich mich erinnern, alles andere sehe ich gefühlt zum ersten Mal. Ich grinse wie ein Schneekönig, es ist einfach cool, an alte Orte zurückzukommen - immer noch jung & doch schon so alt. Es ist ein hübsches Schloss, vieles ist Tagungszentrum, ein bisschen Museum. Die Sonne knallt & lässt alles doppelt so hell erscheinen. Der Edersee ist so voll, so ungewohnt. Edersee-Atlantis ist doch erst 7,5 Monate her... Die zugegeben wenigen Touris stören mich, weshalb ich mich aufmache & meinen Mitwanderern auf die letzten Kilometern folge.

Der Aussichtspunkt Elsterberg bietet noch einen sehr ansehnlichen Blick aufs Schloss (& den Edersee), bevor es an der alten Stadtmauer & Schrebergärten Richtung Urwaldsteig und somit auch Sperrmauer geht. Das Belvedere Hotel passt so dermaßen in diese Ferienregion Edersee, ich kann nur nicht sagen, wieso. Die letzten Häuser vorm Abtauchen in Buchonia haben eine wirklich ausgesprochen aussichtsreiche Lage.

Jetzt vereinigen sich Habichtswald-, Urwald- & Kellerwaldsteig zu einem Weg. Ich wollte die steilen Hänge schon immer entlang wandern, sie sind ein sehr interessanter Teil von Buchonia - ein Begriff, den ich seit meinem letzten Besuch hier mehr als verinnerlicht habe. Eigentlich ist mit Buchonia ein Landschaftsteil in Osthessen gemeint, man sagt es aber auch als Synonym für reiche Buchenwälder. Und die bietet das Gebiet Kellerwald-Edersee in einer Fülle, die ihresgleichen sucht. Nicht umsonst ist das hier UNESCO Weltnaturerbe, die alten Buchenwälder Deutschlands - außerdem noch in Hainich in Thüringen sowie auf der Halbinsel Jasmund auf Rügen. Zurück zum Steig. Der schlängelt sich durch Buchen- und Eichenwälder, oft schmal & eng, wunderschön, holprig & kantig. Genau so habe ich ihn mir vorgestellt. Ich denke sogar schon über den Urwaldsteig nach. 

Natürlich bieten sich auch hier tolle Ausblicke, sogar Landschaftsthrone gibt es. Und Aufstiegshilfen für steile Stellen. Selbst ein Ausblick aufs Waldecker Hinterland, also von wo ich vorhin gekommen bin, wird integriert. Ich kann den Punkt erkennen, der einem den Blick auf Waldeck & sein Land ermöglicht hat. Es ist immer wieder ein atemberaubendes Gefühl, wenn man erkennt, welchen Weg man zu Fuß zurückgelegt hat. Früher bedeutungslos, normal. Heute sorgt es für ein Hochgefühl der besonderen Art.

Bevor der Weg bald endet, gelangt man noch auf die Aussichtskanzel, um Hemfurth & die Staumauer bestaunen zu können. Ich weiß, gleich habe ich mein Ziel erreicht.

Ich rase den Berg hinunter & stolpere Richtung Staumauer. Ja, ich schwitze & ich rieche mit Sicherheit nicht angenehm, aber ich darf das, ich bin in einer der heißesten Wochen des Jahres in vier Tagen 84,8km gelaufen. Es ist so krass, ich bin endlich angekommen. Der Start in Zierenberg fühlt sich ewig weit weg an. Jetzt hier die Staumauer, mit so viel Wasser im Edersee, alles ist grün, es ist so wunderschön, so habe ich ihn schon Ewigkeiten nicht mehr erlebt. Fasziniert wandere ich die Staumauer entlang, gucke ständig mal hier, mal da - als würde ich das hier zum Ersten mal erblicken. Leider gibt es keine Urkunde & auch keinen Stoff-Habicht (darauf hatte ich wirklich etwas gehofft). Meine Mitwanderer sitzen schon im schattigen Biergarten & lassen sich ein Bier schmecken. Meinen Glückwunsch auch an euch beide. Es war mir ein Vergnügen.

Ein bisschen stolz bin ich schon, so wirklich teilen kann ich es gerade mit niemanden. Aber das ist okay - jetzt kann ich es. 

Zufrieden dackel ich zu meiner Pension, vorbei an einem hübschen Haus, wobei Hemfurth mich doch an den typischen Touri-Ort erinnert - ohne den Edersee würde es hier nicht so aussehen. Streng genommen heißt der Ort auch Hemfurth-Edersee. Und das hier ist gerade Edersee. Leicht verwirrend.

Die Pension ist großartig, die Besitzerin sehr nett. Dass ich ein Zimmer mit Gemeinschaftsbad bestellt hatte, habe ich wieder vergessen, bin etwas überrascht, aber im Prinzip ist mir das ja egal, Hauptsache eine Dusche. Danach geht es direkt runter nach Hemfurth, ich treffe eine Freundin zum Essen. Der Weg an diesem Abend ist so schön, so ruhig, so friedlich. Das kleine Örtchen genauso. Überquere die Eder, dessen Brücke mit bunten Blumen geschmückt ist.

Das Zündstoff ist bekannt hier in der Gegend. Es ist gut besucht, wir ergattern ein gutes Plätzchen & lassen es uns gut gehen. Wäre die Bedienung nicht etwas seltsam gewesen, wäre es wirklich gut gewesen. So war es... nun ja. Nicht allzu erwähnenswert.

Zum Abschluss des Abends sehen wir uns noch den Sonnenuntergang an der Staumauer an, planschen im Aqua-Park & bestaunen die beleuchtete Staumauer. Dafür komme ich auf jeden Fall nochmal hierhin zurück. Und danke, Hanna, war ein schöner Abend mit dir - es ist ein tolles Gefühl, wenn am Ende eines Weges Freunde warten.

Ein langer Tag neigt sich dem Ende zu. Ich bin glücklich. So einfach geht das wohl mit dem Glück.

Rückkehr nach Zierenberg

Die Rückkehr nach Zierenberg

Die Nacht war definitiv zu kurz, fühle mich ein bisschen zerknittert, obwohl ich ja fast ausschlafen kann. Ich hänge mi dem Reisebericht weit hinterher, habe aber auch beim Frühstück keine Zeit dafür. Was durchaus am wahnsinnig guten Frühstücksbuffet liegen könnte, selten so ein gutes Frühstück gehabt. Wäre die Gesellschaft jetzt noch etwas freundlicher & mit Tischmanieren gesegnet, hätte man von einer reinen Freude sprechen können. So bin ich froh, als Vater & Sohn, wahrscheinlich Angler, den Raum verlassen. Ich selbst habe aber auch nicht die Zeit, da ich den passenden Bus bekommen will. Ein letztes Mal den Rucksack packen, inzwischen geht das von allein. Ob ich meine zwei Mitwanderer wohl nochmal wiedersehe? Ich hätte zu gerne ihre Namen gewusst. Ganz abgesehen davon kann ich es bis heute nicht verstehen, wie man so abweisend sein konnte (bzw. nur 50% des Duos), wo wir doch scheinbar die einzigen waren, die diesen Weg in dieser Woche gegangen sind.

Ich reise pünktlich ab, es ist angenehm kühl & sogar ein paar Wolken sind zu sehen. Wobei die Wolkendecke schon auflockert. Die Sperrmauer ist ein überaus attraktives Fotomodell, gerade so früh am Morgen, keine Touris, nichts. Am Straßenrand warte ich auf den Bus, das ist schon irgendwie ein seltsames Gefühl. Der Busfahrer kennt Zierenberg gerade so. Ich freue mich auf eine kindliche Art über den Bus, er erinnert mich an die roten RKH-Busse von früher. Der Weg führt am halben Edersee entlang, unglaublich, wie das alles mit Wasser aussieht. Sehe in meinen Erinnerungen das Atlantis & vergleiche das jetzt mit dem Ist-Stand. Gar nicht so leicht.

Über das Land geht es nach Korbach, der Umweg ist nötig, um mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nach Zierenberg zurück zu gelangen. Da angekommen, will ich mich vergewissern, dass das Ticket auch mit Unterbrechung gültig ist. Leider ist die Dame am DB Servicepunkt weder freundlich noch hilfsbereit - das Ticket wäre mit Unterbrechung nicht gültig. Punkt. Und wenn ich den Zug verpasse? frage ich. Dann müsste ich ein neues Ticket kaufen. Punkt. Na klar - ich denke nicht. Plan B - Stadtbesichtigung Korbach in 50 Minuten, bis der nächste Zug kommt - weil den davor habe ich ja leider verpasst. Sowas aber auch. 

Ich war in dieser Stadt schon einmal, an die moderne Einkaufsstraße erinnere ich mich. Sie führt vom Bahnhof direkt in die Stadt. Die Altstadt selber liegt in einem Ring, früher umgeben von einer Stadtmauer, z.T. noch erhalten, auch wenn ich sie selbst nicht gesehen habe. 50 Minuten sind wenig Zeit. Hier & da liegen hübsche Fachwerkhäuser, das Denkmal vom Nachtwächter geht fast etwas unter in der Fußgängerzone. Das Fachwerkhaus der Stadtbücherei Korbach ist wunderschön & liegt freistehend direkt am Rathaus. Das geschichtsträchtige Rathaus ist leider eingerüstet & Riesenbaustelle, weshalb ich nur das Türmchen ablichte. Die Geschichte der Stadt scheint eng mit Gold verwoben zu sein, was ich gerne bei Gelegenheit nachlesen würde - wie so vieles.

Der kleine Kirchplatz vor der St. Kilianskirche ist hübsch, die Häuser spiegeln sich im Wasser des Brunnen. In dem tatsächlich sehr historisch aussehenden Gebäude neben der Kirche liegt wohl das Korbacher Museum. Ich habe nur Zeit, einen groben Eindruck zu gewinnen & mir die Kirche anzusehen. St. Kilian ist die älteste Kirche hier & gilt als Hauptkirche der Altstadt - die der Neustadt schon früh gegenüberstand. Sie ist auf ihre Art beeindruckend, mir gefällt ihre Helligkeit & die harmonischen Farben. Der Flügelaltar ist herausstechend - das Wort musste ich erst einmal googlen, da ich mich mit kirchlichen Begrifflichkeiten doch wenig auskenne. Ich bestaune meistens das Gesamtwerk. Vorm Altstädter Marktplatz thront ein Steinmodell der Altstadt. Hätte ich mehr Zeit, würde ich mich damit auseinandersetzen. So muss ich aber zurück, durch die Gässchen an der Kirche. Komme auch an dem Ort vorbei, wo früher das Kloster des Ortes stand, später wurde hier die Alte Landesschule erbaut, die noch immer Berufliche Schulen beheimatet. Durch Seitenstraßen zur Fußgängerzone arbeite ich mich zurück zum Bahnhof, nicht ohne noch das ein oder andere sehr schöne Fachwerkhaus zu bewundern & meine Postkarte zu kaufen.

Die 50 Minuten sind um & ich stehe wieder am Bahnhof. Zusammen mit jeder Menge Schulkidz - denn welch Überraschung, die Kidz haben heute Ferien bekommen. So 6 Wochen frei hätte ich auch gerne noch einmal - aber natürlich nur mit den Möglichkeiten von heute. Mit der Regionalbahn lasse ich mich zurück nach Zierenberg kutschieren, vorbei an Volkmarsen mit seiner hübschen Burg & Bedarfshaltestellen (wo gibt's denn sowas noch?). Je näher ich Zierenberg komme, desto eher erkenne ich die Landschaft. Unglaublich, wenn man Hügel etc. wiedererkennt, die man aus der Ferne bestaunt hat. Über den letzten Berg & dann geht es hinab nach Zierenberg, derselbe Weg wie vor 5 Tagen mit dem Auto.

Da ist der Dörnberg. Ich hab's wohl echt geschafft.

Und schon stehe ich am Bahnhof, der Zug spuckt die einen aus & nimmt die anderen auf. Ich lasse die üblichen Pendler abziehen & sammel mich erstmal, da meine Emotionen etwas verrückt spielen. Wieso weiß ich schon, kontrolliert bekomme ich es trotzdem schwer. Nach ein paar hundert Metern komme ich klar & ich weiß, ich bin glücklich, dass ich ausgerechnet diesen Weg gegangen bin, vielleicht auch ausgerechnet in der heißesten Woche des Jahres. Ich gehe langsam Richtung Stadt & begutachte die Fachwerkhäuser auf dem Weg zum Marktplatz. Nicht viele sind aufgehübscht, einige in die Jahre gekommen, aber dadurch haben sie nicht weniger Charme. Und wieder stehe ich am Rathaus. So ungefähr 100 Stunden ist mein Losziehen jetzt her. Das hört sich eigentlich nicht viel an - mir kommt es aber wie eine Ewigkeit vor.
 

Ich besichtige die Kirche, die keinen eindeutigen Namen trägt, nur Stadtkirche & dabei ist sie sowas von schön. Ich bewundere ihre Wand- & Deckenmalereien sehr lange. So etwas habe ich auch noch nicht gesehen. So zierlich & verspielt, alles andere dagegen wirkt schlicht & aufeinander abgestimmt. Mir gefällt die Kirche sehr & ich verzweifle fast, als ich bemerke, dass ich hier keine Kerze anzünden kann, weil das Zündmaterial fehlt. Das ist schade, aber vielleicht soll es so sein. Ich mache ein Panorama des Innenraums, später beim Bearbeiten ist es eines meiner Lieblingsbilder. Die Malereitechnik nennt man übrigens Seccomalerei.

Langsam nähere ich mich meinem Auto, XX steht treu wie ich ihn zurückgelassen habe, nichts ist passiert & ich bin so froh, ihn zu sehen. Ich gönne mir in einem Café noch etwas zu trinken & Eis, bevor ich mich schweren Herzens auf den Rückweg mache. Das Navi lasse ich aus & fahre nach Straßenatlas über Landstraßen Richtung Heimat.
Zum Abschluss der Wanderwoche gönne ich mir noch einen kleinen Roadtrip, der aber einer eigenen Geschichte würdig ist.

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