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Fischland-Darß-Zingst - die unverwechselbare Halbinsel

Tag I im Jahr I - Im Nieselregen auf Jagd nach Deutschlands Big Five

Die Halbinsel ist der letzte Teil eines Ost-Roadtrips, vom Spreewald auf Fischland-Darß-Zingst. Die Anreise erfolgte am Vorabend, im Dunkeln & bei durchgehenden Regen die letzten 100km. Meine Unterkunft befindet sich am Ortsrand von Zingst. Ich bin gespannt auf dieses sehr interessante Land, der Ruf eilt ihm voraus. 

Als ich aufwache, ist das Wetter so la la. Angeblich soll der Regen nachlassen, kurz wirkt es so, als lockere es auf. Ich entscheide mich dennoch gegen ein Leih-Fahrrad & nehme das Auto, fahre raus bis Ostzingst. Durchquere den Ort, mir fällt nichts besonderes ins Auge, es folgen Strandzugänge & dann, ja, was ist das denn? Riesige, verfallene Gehöfte, ganz sicher aus DDR-Zeiten. Ich recherchiere später, um was für einen lost place es sich hier handelt - die LPG Müggenburg. Landwirtschaftliche Produktionsgesellschaft mit größten Grünfuttertrocknungswerk der DDR & bis zu 10000 Rindern. Okay... Die Sundischen Wiesen (abgeleitet von Stralsunder Wiesen) wurden bis kurz nach der Wende landwirtschaftlich genutzt, in Pramort wohnte sogar noch eine alte Dame. Das im Nachgang zu lesen, ist schon interessant & macht das ein oder andere verständlich. Aber zurück. Der Weg bietet jede Menge Pfützen, ich nur zu gerne mitnehme. Der Küstenwald ist hier sehr beeindruckend, Kiefern & so viel orange, so habe ich ihn jedenfalls in Erinnerung. Der Parkplatz ist groß & schlaglochübersät. Echt, 4€ Parkgebühr & nur passend in Kleingeld zu zahlen? Das ist ein ziemlich schlechter Scherz... Ich habe es aber tatsächlich passend & investiere hoffentlich in die Infrastruktur. Das Nationalparkhaus ist bis 15:30 Uhr geöffnet, das schaffe ich. Auf geht's, acht Kilometer gen Ost.

Es nieselt leicht, was sich zu stärkeren Nieselregen entwickelt. So war das aber nicht geplant.. Ich hoffe, das bessert sich noch etwas & verschwende den ein oder anderen Gedanken daran, dass mein Equipment sicher hält, aber meine Kleidung auch? Man hört das Meer rauschen & hin & wieder kann man es sehen. Landschaftsfotografie mit 70mm, ich habe das Gefühl, dass genau das gerade zu dem Ort & seinem Wetter passt. Links, Schilf mit Bruch- oder Totwald, rechts ein Mischwaldstreifen. Oder vielleicht doch eher Bruchwald - stelle nämlich irgendwann fest, dass hier ein ziemlich nasser Untergrund vorherrscht. Es ist ein weites Land & überzeugt in der Summe der Details, selbst bei Schlechtwetter. Man muss nur sehen.

Der Regen lässt nach bzw. hört ganz auf, er bleibt quasi hinter mir hängen. Weit vorne sind sie am Bauen, ist ja keine Saison, irgendwann müssen sie das schließlich tun. Auch wenn der Baulärm jetzt nicht so idyllisch ist. Und meine Hoffnungen auf Wildtierbegegnungen mit Rotwild & Co. etwas schmälert. Aber, Wetter & Weite sorgen für Kopf-Frei. Zwei Radfahrer überholen mich. Schon was gesehen? fragen sie mich. Leider nicht, antworte ich. Aber das kann ja noch werden. Und während ich so vor mir hinträume, Distelfinken & Wasserspiegelungen fotografiere, rauschen rechts im Wald zwei Rothirsche elegant durchs Holz. Das gibt's doch nicht! Aber ich habe sie immerhin gesehen. Ich habe schon viel Weg zurückgelegt, aber auch noch viel vor mir - ein acht Kilometer langer, schnurgerader Weg ist nicht zu unterschätzen. Rundum weiterhin viel Wasser. Die toten Bäume sind deshalb krepiert, die nassen Füße gefielen ihnen nicht. Und auswandern können sie ja schlecht. Was die da vorne bauen, ist mir noch nicht ganz klar. Aber der Baustellen-LKW scheint die zwei Rothirsche von eben aufzuschrecken, denn sie kreuzen plötzlich meinen Weg - so majestätisch & elegant. Unglaublich. Man hört, wie sie durchs Wasser rennen, weiter ins Land rein bzw. Richtung Strand. Vielleicht erlebe ich ja noch eine dritte Begegnung mit ihnen.

Die Radfahrer kommen zurück, sie schauen auf die Wiese, die Richtung Bodden zeigt. Drei Rehe stehen sehr weit hinten. Sie fragen mich, ob ich die Wildschweine oder das Damwild gesehen hätte. Nein, leider nicht, aber zwei Rothirsche. Die hätten sie nicht gesehen. Die beiden sind sehr nett, sie wirken rücksichtsvoll. Nach zwei Stunden erreiche ich den Abzweig zur Hohen Düne. Ah, hier bauen sie. Einen Weg. Die meisten Wege sind gesperrt, da es sich bei dem Land um ein militärisch belastetes Gebiet handelt - so etwas wie ein Raketenabwurf-Übungsgelände. Ich frage mich immer, was wäre, wenn so eine Kuh oder ein Wildtier so etwas auslösen würde? Ich verstehe, dass niemand zu 100% die Verantwortung übernehmen möchte. Andererseits halten diese Überreste auch schon zig Jahrzehnte Naturgewalt & Landwirtschaft aus...

An dem ersten Beobachtungspunkt kann man das Land Richtung des Ostendes von Zingst & die Große Werder überblicken. Sehr viel Wasser, noch mehr Schilf und ähnliche Konsorten, aber wenig (sichtbare) Wasservögel. Lediglich ein paar überfliegende Gänse oder Reiher - sowohl den Grauen als auch den Silbernen- habe ich bisher gesehen. Jetzt kommen da noch ein paar Schwäne hinzu, irgendwo bekam ich auch einen Singschwan zu Gesicht. Dafür herrscht überall (& selbst auf dem Rückweg) konstantes Vogelgezwitscher. Die Linien am Horizont verschwimmen ineinander & es fällt mir schwer, da Land, Windwatt & Wasser herauszufiltern. Der Weg zur Hohen Düne ist ein reiner Wanderweg, er ist schmaler & nicht mehr asphaltiert oder ähnliches, Radfahrer werden gebeten, ihre Räder an den ausreichend vorhandenen Radparkplätzen abzustellen. Ich sehe übrigens leider erst viel, viel später, dass eines der Landschaftsbilder auch Wild enthält. Wahrscheinlich Rotwild. Ihre Tarnung ist ausgesprochen gut.

Bis auf die Arbeiter & die zwei Radler vorhin bin ich hier ziemlich allein. Die Stille & Weite ist so beruhigend. Ich erspähe Damwild, Hirsche, mit Herbstfarben, so ein wunderschönes Bild. Ich pirsche vorsichtig weiter & versuche, die Tiere nicht zu beunruhigen, ich möchte nicht, dass sie wegen mir das Weite suchen müssen. Hier ist schließlich genug Platz für uns alle. Ein Kahlwild oder Alttier mit einem Jungtier überquert den Weg & flüchtet ins Schilf. Sie stehen auf dem Bild quasi vor den (gar nicht so weit) entfernten Dünen, so großartig, ich liebe dieses Bild bereits beim Betätigen des Auslösers. Der anfängliche Regen kann mich mal, das hat sich bereits jetzt schon sowas von gelohnt, hier an so einem Tag herauszugehen. Wohlgemerkt, zu gehen. Im Schilf wühlen Wildschweine herum. Wahnsinn, mittlerweile habe ich sie fast alle gesehen, ein Räuber würde noch fehlen - in diesem Land käme nur ein Fuchs in Frage. So schön. Bis auf die folgenden Radfahrer. Ein Verbot versteht eben nicht jeder. Und zu allem Übel scheuchen sie mir auch noch die zwei Rothirsche auf, verdammt nochmal! Das halte ich denjenigen auch prompt vor. Ein bisschen schlechtes Gewissen haben sie dann schon, was mir jetzt aber nichts mehr bringt. Ich meine, immer mal wieder Kraniche zu hören, aber eigentlich kann das gar nicht sein - sie müssten schon auf dem Weg Richtung Süden sein. Hier ist viel zu hören, nur lässt sich nicht alles einordnen.

Zur Hohen Düne führen Bohlenwege & die Aussicht ist toll. Auch wenn ja eigentlich gar nicht viel zu sehen ist. Die Ostsee & das Weite Land aus einem anderen Blickwinkel. Der nächste Regen ist schon im Anmarsch. War ja auch fast zwei Stunden trocken. Die unheimlich vielen, kleinen Fliegen sind mir im Gedächtnis geblieben. Schön, dass die Natur hier noch Platz hat. Ich frage mich, wie es hier in der Hauptsaison aussieht & wie sich da an Absperrungen gehalten wird. Die nächste Radfahrertruppe taucht auf, eindeutig Touristen. Sie könnten aus NRW stammen. Oder Berlin. Nun ja, ich mache erstmal Mittagspause. Der Regen lässt nicht nach, es sieht eher so aus, als wenn es sich einregnen würde. Und so ist es auch. Auf dem Rückweg ist wenig bis gar nichts zu sehen. Außer die wenigen, aber dafür umso intensiveren Herbstfarben. Schaue zwangsläufig dem Kipper bei der Arbeit zu. Steinerde aufladen, auf der Plane abladen, verteilen & planieren. Den ganzen Tag. Immerhin sieht man der am Ende, was er getan hat.